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Zwischen Akte und Empathie: Verantwortung neu gedacht

Ein BEM Beauftragter ist mehr als ein Verwalter: Er vermittelt zwischen Pflicht und Person, zwischen Rückkehrplan und echter Perspektive.
Rückwege nach längerer Krankheit sind selten geradlinig. Es braucht Menschen, die zuhören können – und Strukturen, die mehr bieten als Formulare. Genau hier beginnt professionelle Wiedereingliederung.

Warum Strukturen allein nicht tragen

BEM ist formal klar geregelt: §167 Abs. 2 SGB IX verpflichtet Arbeitgeber, Mitarbeitenden nach sechs Wochen krankheitsbedingter Abwesenheit ein betriebliches Eingliederungsmanagement anzubieten. Doch das Gesetz sagt nichts über Haltung, Gesprächskultur oder psychologische Sicherheit.

In der Praxis zeigt sich: Die größten Fallstricke liegen nicht in Formularen, sondern in der Umsetzung. Wer Gespräche als Pflichtübung versteht, dem entgleiten Chancen. Die Rolle des BEM Beauftragten entscheidet mit darüber, ob Vertrauen entsteht – oder ob Mitarbeitende innerlich kündigen, noch bevor sie zurückkehren.

Wichtige Fragen, die Unternehmen sich stellen sollten:

  • Wird BEM als lebendiger Prozess verstanden oder als Routineakte?
  • Hat die verantwortliche Person das nötige Fingerspitzengefühl?
  • Gibt es Raum für Ambivalenz, Unsicherheit oder Angst bei Rückkehrenden?

Der BEM Beauftragte im Wandel

Ein BEM Beauftragter leistet heute weit mehr als Verwaltungsarbeit – er ist zentrale Vertrauensperson im Wiedereingliederungsprozess. Doch in modernen Organisationen verändert sich das Rollenbild:

Traditionelle SichtWeitergedachte Perspektive
VerwaltungsakteurVertrauensperson mit systemischem Blick
Ausführende InstanzDialoggestalter mit Kommunikationstraining
Fokus auf ProzessFokus auf Beziehung und Gesundheit

Eine gute BEM-Person braucht mehr als Rechtssicherheit. Sie muss zuhören, deeskalieren, Brücken bauen. Sie muss Unternehmensinteressen mit menschlicher Integrität verbinden. Diese Fähigkeiten sind erlernbar – aber nicht selbstverständlich.

🎤 „BEM braucht Haltung, kein Schema F“ – 5 Fragen an einen unabhängigen BEM-Experten

Experte im Gespräch:
Dr. Jens Kaden, systemischer Coach und Organisationsberater, begleitet Unternehmen beim Aufbau gesunder Strukturen. Im Interview spricht er über die besondere Rolle des BEM Beauftragten und erklärt, warum Empathie strategisch wichtig ist.

  • Was ist aus Ihrer Sicht die größte Fehleinschätzung über die Rolle des BEM Beauftragten?
    Dr. Jens Kaden:
    Dass es ausreicht, die rechtlichen Vorgaben zu kennen. Ein BEM Beauftragter braucht weit mehr: psychologisches Feingefühl, Gesprächskompetenz und die Fähigkeit, Spannungen zu halten. BEM ist kein Verwaltungsprozess, sondern ein sensibler Dialograum.
  • Was unterscheidet gute von schlechten BEM-Prozessen?
    Kaden:
    Gute Prozesse bauen Vertrauen auf – schlechte vermeiden es. Entscheidend ist, ob Betroffene sich sicher fühlen, offen zu sprechen. Standardisierte Formulare helfen nicht, wenn die Gesprächsführung kalt oder distanziert ist. Es geht darum, individuell auf Menschen einzugehen, ohne den roten Faden zu verlieren.
  • Welche Eigenschaften sollte ein BEM Beauftragter unbedingt mitbringen?
    Kaden:
    Empathie, Ruhe, klare Sprache. Auch: Kenntnis über psychische Belastungsreaktionen, gutes Zuhören und Verschwiegenheit. Und: Der oder die Beauftragte sollte auch mal schweigen können – das ist oft wirkungsvoller als jeder Maßnahmenplan.
  • Wie lassen sich BEM Beauftragte am besten auf ihre Rolle vorbereiten?
    Kaden:
    Gezielte Schulungen sind essenziell – besonders zu Gesprächsführung, Arbeitsrecht und psychischer Gesundheit. Wichtig ist auch Supervision oder Fallbesprechung. Der Austausch mit anderen BEM-Verantwortlichen hilft, blinde Flecken zu erkennen und emotionale Lasten zu verarbeiten.
  • Was ist Ihr wichtigster Rat an Unternehmen, die BEM ernst nehmen wollen?
    Kaden:
    Geben Sie der Rolle des BEM Beauftragten die nötige Relevanz. Schaffen Sie Raum für Qualität – nicht nur für Häkchen. Ein stark aufgestellter BEM-Prozess schützt Menschen, aber auch die Organisation selbst.

Empathie trifft Struktur: Der Balanceakt

BEM Beauftragter in Besprechung mit Team

Der BEM Beauftragte steht oft zwischen den Fronten: Auf der einen Seite steht das Unternehmen mit Leistungsinteresse. Auf der anderen ein Mitarbeiter mit Sorgen, Scham, Unsicherheit – manchmal auch mit Misstrauen.

Hier entscheidet sich alles. Wer Empathie zeigt, ohne sich zu verzetteln, wer auf Augenhöhe spricht und gleichzeitig strukturiert vorgeht, erzielt Wirkung. Entscheidend sind:

  • Timing: Nicht zu früh, nicht zu spät ins Gespräch.
  • Wertschätzung: Der Mensch zählt, nicht die Fehltage.
  • Klarheit: Transparente Ziele, klare Rollen, eindeutige Kommunikation.

Gut gemeinte Phrasen reichen nicht. Es braucht Methodenkompetenz, Gesprächsleitfäden, idealerweise Supervision. BEM wird dann erfolgreich, wenn Beauftragte nicht als Kontrollinstanz, sondern als Begleiter erlebt werden.

Fehltritte vermeiden: Was nicht funktioniert

Auch gut gemeinte Prozesse scheitern, wenn sie nicht gut gemacht sind. Typische Fehler:

  • Standardisierte Mails ohne persönliche Ansprache
  • BEM-Gespräche ohne Vertraulichkeit
  • Überforderung durch juristische oder medizinische Detaildiskussionen
  • Fehlende Schulung der Beauftragten
  • Keine Anschlussmaßnahmen oder Rückmeldungen

Ein BEM, das so abläuft, verstärkt Misstrauen – und verfehlt seine präventive Wirkung. Gerade weil der BEM Beauftragte in einem sensiblen Feld arbeitet, braucht er Reflexion und Haltung.

Wie Unternehmen echte Wirkung erzielen

Die Investition in die Qualität des BEM Beauftragten lohnt sich. Studien zeigen: BEM reduziert Fehlzeiten, verbessert das Betriebsklima und stärkt die Bindung. Entscheidend ist nicht der Maßnahmenkatalog, sondern der Umgang damit.

Empfehlungen:

  • Fortbildungen zu Gesprächsführung und psychischer Gesundheit
  • Supervision oder kollegiale Beratung für Beauftragte
  • Transparente BEM-Leitlinien für alle Mitarbeitenden
  • Anbindung an BGM oder Personalentwicklung
  • Berücksichtigung psychischer Belastungen im Prozess

Ein gut aufgestellter BEM-Prozess mit einem empathisch geschulten Beauftragten schafft Vertrauen – und damit den Boden für nachhaltige Reintegration.

BEM Beauftragter: Rolle mit Wirkungspotenzial

BEM Beauftragter im Teamgespräch

Wenn der BEM Beauftragte mehr ist als ein Aktenverwalter, entsteht etwas Entscheidendes: Verantwortung mit Haltung. In der Schnittstelle zwischen Vorschrift und Vertrauen liegt ein echtes Potenzial für Wandel. Wer Empathie nicht als Soft Skill, sondern als Führungskompetenz versteht, verankert BEM langfristig im Denken der Organisation.

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